Pfarrchronik 1922

Dieses Jahr steht im Zeichen einer beispiellosen Teuerung. Was man im Jänner und Februar noch um 1000 K sich kaufen konnte, das stieg innerhalb weniger Wochen auf 5 bis 7000 K. So zahlte man im Mai-Juni für ein Kilo Rindfleisch über 4000 K. Ein Kilo Kochmehl kostet 1000 K, somit ein Laib Brot zu 120 g nicht weniger als 1400 K. Ein Liter Milch gegenwärtig 420 K. Eine gute Milchkuh wurde kürzlich um1000000 K verkauft. Pferde erreichen bereits den Preis von 4 und 5 Millionen Kronen. Quo usque tandem — Unsere Zeit erinnert lebhaft an die Zeit nach dem dreißigjährigen Kriege, ist jedoch in mancher Hinsicht unübertreffbar, ja nicht einmal erreichbar. Täglich und stündlich wartet man auf den Zusammenbruch unserer sogen. Republik, wo das ein naturgetreues Konterfei von Russland ist. Auf alle Fälle können sich die beiden Staaten die Hand reichen als sittlich ganz und gar entartete Brüder !! Gewissenlosigkeit und Sittenlosigkeit und ganz besonders die Autoritätslosigkeit nehmen zusehends bereits Formen an, dass einem vor der nächsten Zukunft bangen muss. Ein totsicherer Beweis dafür, dass wir für eine Republik keineswegs die gehörige Reife besitzen.

Mitte Mai gab es in Wien einen allgemeinen Katholikentag, der laut Zeitungsbericht einen glänzenden Verlauf genommen hat – es dürften 150000 Menschen anwesend gewesen sein. Auch sogen. Bezirkskatholikentage wurden über Anregung seitens Sr. Eminenz veranstaltet und zwar wurde damit schon im Vorjahre der Anfang gemacht. In Poysdorf und Gänserndorf war auch Loidesthal vertreten – 6 Mann. Auf den 29. Juni l.J. ist ein Katholikentag in Mistelbach angesetzt. Ob der sittliche Erfolg bei diesen Anlässen auch jedes Mal den außerordentlich guten Besuche entspricht, steht in Frage – immerhin jedoch zeitigen solche Tage auch gute Früchte, besonders bei der arg verwahrlosten Jugend.

In Loidesthal ist bereits seit vielen Wochen ein Burschenverein im Entstehen begriffen – der Anfang ist wohl gemacht; 50 Burschen und Bürschchen haben ihre Vereinsstatuten bei der polit. Behörde eingereicht und die Vereinsgründung angezeigt unter dem Namen katholischer Burschenverein Edelsinn Loidesthal – in absehbarer Zeit wurde man in unserem kleinen Ort den großen Gründungtag feiern und begehen! Gott gebe, dass meine viele Mühewaltung bei Beseitigung von ungezählten Reibungen und Differenzen entlohnt werden möge, dass wir nicht wie anderswo eine sogen. Theatergesellschaften, sondern einen gut katholischen Verein ins Land bekommen.

Am 14. Juni habe ich den Lehrkörper von hier mündlich und außerdem auch noch schriftlich eingeladen zur Teilnahme an der Fronleichnamsprozession und an der kanonischen Visitation am 20. Juni und die Herren gebeten, sie mögen dabei die Leitung der Schulkinder übernehmen. Antwort: der Lehrkörper dankt bestens für die freundliche Einladung, hat jedoch beschlossen, sich nicht zu beteiligen.

Mit Anfang Juni wurde Lehrer Girsch ernannt als definitiv für den Posten in Loidesthal. Genannter scheint seinem Chef nach Wunsch und Gefallen handeln zu wollen.

Vidi, 20.6.1922 Augustin Höbarth Dechant

Am 16. Juli 1922 – Skapuliersonntag feierte der katholische Burschenverein Edelsinn sein Gründungsfest. An 26 auswärtige Brüdervereine erging die Einladung zur Teilnahme und zugleich sollte am genannten Tage der Gauverband seine Versammlung in Loidesthal abhalten. Leider kam es dank der Ungunst der Witterung am Festtage ganz anders. Am Vortage gab es einen sol. Fackelzug mit großer Musikbegleitung, ein Ereignis, das für die Mehrzahl der Ortsbewohner noch ganz neu und demzufolge auch recht interessant gewesen war. Eine Tagreveille um 4 Uhr früh leitete den eigentlichen Festtag ein. Um ½ 7 Uhr ward eine hl. Messe abgehalten, bei welcher sämtliche Burschen des Vereines die hl. Kommunion empfingen. Die Feldmesse vor der Zeughütte war auf 10 Uhr vormittags angesetzt. (Leider war das Wetter gar nicht freundlich und schon während meiner Ansprache nach dem Evangelium fing es etwas zu regnen an). Groß war mein Erstaunen, als ich an Ort und Stelle anstatt der 24 Verein nur ein Häufchen fremder Burschen sehen konnte – vermutlich hat die Ungunst der Witterung die Vereine an der Teilnahme abgehalten. Schon während meiner Ansprache nach dem hl. Evangelium fing es etwas zu regnen an, nur mit Not konnte ich – es war nebstbei auch sehr windig – celebrieren. Schon beim letzten hl. Evangelium setzte ein sehr ausgiebiger Regen ein, der dann stundenlang anhielt. Im Nu war der Festplatz geräumt und gesäubert – alles rennet, rettet, flüchtet, voran die Bande unserer jungen Musiker, die das Haydn Messlied während der Messe trefflich zum Vortrag brachten. Bei der Segen-Andacht um ½ 2 Uhr nachmittags beteiligten sich sämtliche drei Verein, wobei die Mitglieder vom Edelsinn im Presbyterium Aufstellung nahmen. Programmmäßig schloss sich nun die Festversammlung bei Kraft an, bei welcher ein gew. Stein aus Wien die Festrede hielt. Den feierlichen und für das Weinland nur einzig würdigen Abschluss bildete das obligate Tanzkränzchen – bis 3 Uhr früh. Heil!

Nachträglich muss auch des kirchlichen Triduums Erwähnung geschehen. In der Zeit vom Aschermittwoch bis zum Samstag der Woche hielt Herr P. Bonaventura Schneller von den Franziskanern in Wien ein Triduum. Eine Einleitung und Schlusspredigt und an jedem Nachmittag eine Standeslehre. Die Beteiligung an den Vorträgen und beim darauffolgenden Beichtconcurs war eine rege. Es gab nicht weniger als 500 Communikanten. Wohl wäre es viel günstiger gewesen, das Triduum noch im alten Jahre abhalten zu lassen, denn so dürfte der Sakramentempfang in der Osterzeit 1922 unbedingt ein besserer gewesen sein. Das Ordinariat gibt nämlich keinem Ansuchen betr. Verlegung der Osterbeicht auf einen früheren Termin unter keinen Umständen statt.

1922 gab es einen recht trockenen und heißen Sommer – Mütter irren, Kinder jammern, Tiere wimmern und alles prophezeit schon frühzeitig eine Missernte an Getreide und Herbstfrüchten. Indes der Mensch denkt (und) Gott aber lenkt und schickt gerade noch rechtzeitig einen ausgiebigen Regen, was eine relativ gute Getreideernte zur Folge hatte. Auch Klee, Mais und Rüben gibt’s allenthalben und falls die für die Gärten vorteilhafte Witterung noch beständig anhalten sollte, dann würde 1922 auch ein seltenes Weinjahr werden.

Anschließend etwas von den jetzt modernen Preisen. Wir schreiben August 1922 und da zahlt man für einen Liter Milch 2000 K, weil eine respektable Milchkuh 5000000 K kostet. Ein Kilo Rindfleisch so teuer wie ein Kilo Zucker – 20000 K. Ein Meter Tuch von besserer Sorte 200000 K, somit ein Herrenanzug 2 ½ Millionen Kronen. 200000 K zahlt man für ein Paar Herrenschuhe. Ein Stück Ei kostet 600 K. Eine Margarinebutter zahlt man mit 22000 K. Für einen ½ Liter Bier 1300 bis 1500 K. Ein Paar Würstel in der Länge vom kleinen Finger 2000 K. Eine winzige Semmel wird mit 700 K verkauft. Eine gute Zigarre – Graciosas 1400 K, Virginier 1100 K, eine bessere Zigarette 200 K. Die Silberkrone wird mit 7000 K in Papier umgewechselt. Die Goldparität beträgt für diese Woche 15200 K. Quo usque tandem ….